Havanna, den 12. Dezember 2007

 

Lieber Randy,

 

zutiefst bewegt hat mich der außerordentliche Dokumentarfilm der argentinischen Regisseurin Carolina Silvestre, in dem sie eine Lüge nach der anderen über die Demokratie und die Menschenrechte im entwickelten und globalisierten Kapitalismus auseinander nimmt.

 

Seit Tagen, seit dem venezolanischen Referendum vom 2. Dezember, versuche ich mich an eine meiner Äußerungen zu erinnern – unter den Hunderten, die sich aus meiner revolutionären Mission ergeben – in der ich ganz konkret unsere Haltung zu den internationalen Verpflichtungen Kubas definierte.

 

Ich bat um Kopien verschiedener Unterlagen, in denen ich das Thema behandelte. Der Zufall wollte es, dass eins der präzisesten Dokumente aus dem Podiumsgespräch stammt. Es ist ziemlich neu, erst knapp sieben Jahre alt.

 

Wir stehen in einem Wahlprozess. Ich betrachte die Ideen als Ausgangspunkt meines politischen Lebens. Als Überschrift des Materials, das ich dir wortgetreu übersende, würde ich heute seine Schlusszeile setzen: «Die Geschichte wird zeigen, wer Recht hat

 

Sende es bitte, wenn möglich, am morgigen Donnerstag.

 

Den Anlass dazu gaben einige Worte des damaligen Premierministers Kanadas, Jean Chrétien, auf dem III. Amerika-Gipfel.

 

Zu jenem Zeitpunkt konnte meine Erklärung belanglos erscheinen.

 

Fidel Castro Ruz

 

 

 

 

13. Dezember 2007

 

An das Podiumsgespräch einen brüderlichen Gruß und für die schnelle Erledigung ein Dankeschön im Voraus.

 

Fidel Castro

 

 

 

 

Die Geschichte wird bestimmen, wer im Recht ist

 

Antwort des Comandante en Jefe Fidel Castro Ruz gegenüber dem Moderator der informativen Podiumsdebatte vom 25. April 2001, bezüglich Erklärungen des kanadischen Premierministers Jean Chrétien während des 3. Amerikagipfels.

 

Comandante: Sehr gut, so, nun Geduld. Vielleicht ist dieses Material von Interesse, wenn du mir das Wort erteilst.

 

Mir schien, es würde sich lohnen, dafür einige Minuten zu verwenden.

 

Wirst du vom Austragungsort sprechen?

 

Randy Alonso: Vom Austragungsort des 3. Gipfeltreffens und den Erklärungen, die der kanadische Premierminister abgab.... Es gab einige Erklärungen des Premierministers, und es gab auch Erklärungen des Außenministers.

 

Comandante: Ja, ich wählte eine aus, denn derjenige, den ich am meisten kenne, ist der Premierminister, und mit ihm bin ich am meisten befreundet.

 

Gut, damit das Volk versteht, um was es sich handelt:

 

Quebec (Kanada), 19. April (EFE): der kanadische Premierminister Jean Chrétien rechtfertigte heute den Ausschluß Kubas vom 3. Amerikagipfel aufgrund des Fehlens von Gesten des kubanischen Regimes bei Themen im Zusammenhang mit den Menschenrechten, obgleich er ‚Stunden damit verbracht habe‘, Fidel Castro zu überzeugen, seine Politik zu verändern.

 

Bei seiner Ankunft im Kongreßzentrum von Quebec, wo an diesem Wochenende das Gipfeltreffen stattfinden wird, wurde Chrétien gefragt, ob er seine Position bezüglich des Einschlusses Kubas in den Prozeß der Gipfeltreffen der Länder des amerikanischen Kontinents verändert habe, da er bei den vorhergehenden Gipfeltreffen in Miami und Santiago die Präsenz des Castro-Regimes gefordert hatte.

 

‚ Ich habe meine Meinung nicht geändert‘, antwortete Chrétien.

 

Der kanadische Premierminister zeigte sich zugeknöpft, als man ihn fragte, ob Kuba aufgrund der Ablehnung Washingtons nicht in Quebec zugegen sei. 

 

Als man ihn drängte, zu benennen, welches andere Land des Kontinents sich der Teilnahme Castros am 3. Amerikagipfel widersetzt habe, antwortete Chrétien gleichfalls: ‚ Fragen sie das diese Länder‘.

 

Der kanadische Premierminister fügte hinzu, daß er ‚ viele Stunden damit verbracht‘ habe, ‚ Castro zu überzeugen´, einige Vereinbarungen über Menschenrechte zu unterzeichnen, doch er empfing keine Geste des Regimes von Havanna.

 

‚ Ich verbrachte Stunden mit ihm (Fidel Castro) bei dem Versuch, ihn davon zu überzeugen, daß er einige Resolutionen der Vereinten Nationen unterzeichnet‘, beharrte Chrétien.“

 

Ich habe viel über diese Aussage des Herrn Chrétien nachgedacht. Es bestand keinerlei Erfordernis, eine vorschnelle und improvisierte öffentliche Bewertung jenes Treffens zu verbreiten.

 

Ich habe daran gearbeitet, Daten zu suchen und mit der größtmöglichen Objektivität das zu rekonstruieren, was wir dort besprachen, und die Atmosphäre, in der unsere Gespräche vonstatten ging.

 

Ich bringe hier eine schriftliche Reflexion, und zwar wegen der Notwendigkeit der Präzision aufgrund des delikaten Charakters der Themen.

 

Kurz nach Beginn des Teffens legte er auf eine fast abrupte Art und Weise eine kleine Namensliste auf den Tisch, die er offensichtlich erst kurz zuvor erhalten hatte. Ich erriet fast, um was es sich handelte. Das war immer dann etwas Gewöhnliches, wenn uns eine politische Persönlichkeit irgendeines mit den Vereinigten Staaten verbündeten Landes oder irgendein US-Politiker besuchten: das State Department übergab ihm eine Liste mit Personen, die wegen konterrevolutionären Aktivitäten angeklagt oder verurteilt wurden. Die Listen waren immer von denen angeführt, die von größter Wichtigkeit oder größtem Interesse für die Geheimdienste oder die Regierung der Vereinigten Staaten waren. Er forderte deren Begnadigung oder Freilassung. Dies war eine unveränderte Taktik der US-Regierung, um zugunsten ihrer Freunde Druck auszuüben, unter Ausnutzung jeglichen freundschaftlichen Besuches in Kuba. Da man in unserem Land mit der größtmöglichen Toleranz vorzugehen pflegt, nehmen die Behörden nur in Ausnahmefällen die Verhaftung und Aburteilung der verwickelten Personen vor, wenn deren provokative Handlungen schwerwiegend oder total unannehmbar sind.

 

Der kanadische Premierminister erinnerte mich daran, daß aus Anlaß des Papstbesuches eine Anzahl von wegen konterrevolutionären Straftaten verurteilten Personen begnadigt worden war, und er hatte sich verpflichtet, um das Gleiche für die in der Liste enthaltenen Personen zu bitten.

 

In Wirklichkeit behandelte der Papst dieses Thema niemals während seines Gesprächs mit mir, und er hatte dies über seinen Staatssekretär bei einem anderen Gespräch mit dem Außenminister getan.

 

Ohne auf die Antwort zu warten, schlägt er unmittelbar darauf vor, daß Kuba die UN-Konvention über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte unterzeichnet, da Kuba in diesem Bereich genauso viel oder mehr als jedes andere Land der Erde getan habe. Dies war ohne Zweifel ein einschmeichelnder Satz und eine äußerst geschickte und zweckmäßige Art, etwas vorzubringen.

 

Ich erinnere mich, daß er daraufhin das Freihandelsabkommen zwischen Kanada, Mexiko und den USA erwähnt, und die Vorhaben, dies auf den Rest Lateinamerikas auszudehnen, wobei er seine Meinung zum Ausdruck bringt, daß Kuba einen wichtigen Beitrag leisten könne.

 

Und schließlich bezieht er sich auf den Vertrag gegen Anti-Personen-Minen, wobei er bedauert, daß Kuba ihn nicht unterzeichnet habe, und darum bat, daß es dies tue. Das waren die vier Punkte, mit denen er seine Gespräche begann. Alle schienen sie sehr einfach zu sein; trotzdem waren diese vier Punkte äußerst kompliziert.

 

Ich fragte ihn, ob es bei den kanadischen Politikern normal wäre, mit dem Schwierigsten zu beginnen, und ich fügte ihm gegenüber scherzhaft hinzu, daß wir im Falle eines Nichtbestehens dieser Proben den Besuch platzen lassen müßten.

 

Ich glaube mich zu erinnern, daß das Treffen etwa zwei Stunden dauerte, in höflichem und respektvollem, aber offenem Ton. Ich muß gestehen, daß ich den Großteil der Zeit verwendete, denn es war notwendig, mit einer bestimmten Tiefgründigkeit den Grund für unsere Positionen argumentativ vorzubringen, besonders hinsichtlich dreier der erwähnten Punkte.

 

Es ist unmöglich, hier jedes dieser Argumente zu wiederholen. Nur eine sehr kurze Zusammenfassung, mit den wichtigsten Antworten.

 

Ich sagte ihm, daß ich nicht persönlich und unmittelbar entscheiden oder mich hinsichtlich einer der Fragen verpflichten müßte, genauso wenig wie die Schaffung von falschen Hoffnungen bezüglich der zu treffenden Entscheidungen. Ich sagte, daß die weithin veröffentlichte Frage der angeblichen Gewissensgefangenen eine alte Geschichte sei, nach fast 40 Jahren jeder Art von Missetaten und Verbrechen gegen Kuba von Seiten der US-Regierung. Ich zählte sie ausführlich und detailliert auf und stellte sie der tadellosen Haltung und der Ethik unserer Revolution gegenüber, trotz der Flut von über Kuba ausgestreuten Gemeinheiten und Verleumdungen. Ich erläuterte die Scheinheiligkeit und Doppelmoral der gegen die Revolution verfolgten Politik. Die Umstände, die uns gezwungen hatten, inhaftierte Personen zu haben. Daß wir allein in Girón 1 200 Invasoren gefangengenommen hatten, und daß die Revolution selbst seit den ersten Jahren diejenigen nach und nach in Freiheit gesetzt hatte, die im Dienste einer ausländischen Macht über vier Jahrzehnte hinweg versucht hatten, sie zu zerstören. Das Thema derer, die aus diesem Grund inhaftiert seien, werde ständig dazu benutzt, um Druck auf Kuba auszuüben, das Land, das die Feindschaft und von außen kommende Aggression erlitt. Ich erwähnte die schwerwiegenden Bedrohungen, denen wir immer noch ausgesetzt waren, wie die von den Vereinigten Staaten organisierten und bezahlten Terrorakte.

 

Zu einem Zeitpunkt sagte er mir, daß er wünsche, diese Situation zu überwinden, damit wir zu der großen Familie zurückkehrten. Ich sagte ihm, daß wir Lateinamerikaner seien und fragte ihn, ob es sich darum handele, daß wir zur großen Familie zurückkehrten oder daß die große Familie zu uns zurückkehrte. Ich beendete diesen Punkt, indem ich ihm antwortete, daß er eine Liste von Personen gebracht habe, die Söldner im Dienst der Vereinigten Staaten und von diesen bezahlt seien, und daß sie in Komplizenschaft mit den USA versuchten, die Revolution zu zerstören. Als Freund müsse ich ihm sagen, daß diese Liste erniedrigend für Kuba sei. Er bemühte sich zu erklären, daß dies nicht seine Absicht sei und daß er die Liste vielleicht zu früh vorgelegt hätte.

 

Nicht alles war dramatisch. Es gab Scherze und sogar eingeschobene Witze. Dieser mit einer gewissen Ausführlichkeit behandelte Teil kann eine Idee von der Intensität der ersten Stunde des Gesprächs vermitteln.

 

Bezüglich seiner Betonung der hemisphärischen Familie sagte ich ihm, daß ich mich darüber sehr freue, doch ich dächte auch an die universale Familie: Europa, Asien und Afrika.

 

Hinsichtlich des zweiten Punktes, der UN-Konvention über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte, zögerte ich nicht ihm zu sagen, daß wir alle Artikel unterzeichnen könnten, außer zweien, den Artikeln 8 und 13. Der erste könne sehr gut für ein kapitalistisches Land wie Kanada, USA oder eines aus Lateinamerika gelten, denn in einen regierten die Unternehmer oder die Oligarchen und in anderen die großen Multis. Dort spalteten, zersplitterten und, wenn dies möglich sei, korrumpierten und entfremdeten sie die Arbeiter, die nur sehr wenig machen könnten gegen die politische Macht der Arbeitgeber. Es handele sich um Wirtschaftssysteme, die sich von unserem unterschieden.

 

Im Zusammenhang mit diesem Artikel der Konvention, wo man davon spricht, daß jede Person das Recht hat, Gewerkschaften zu gründen und sich denjenigen seiner Wahl anzuschließen, einzig den Statuten der entsprechenden Organisation untergeordnet, um ihre wirtschaftlichen und sozialen Interessen zu fördern und zu schützen, sagte ich, daß ein solches Gebot in einem Land wie Kuba, wo alle Hand- und Kopfarbeiter in ihren jeweiligen Gewerkschaften organisiert und fest vereint sind als revolutionäre Klasse, welche die Macht mit dem Rest des Volkes, den Bauer, Frauen, Studenten, Nachbarn und den Bürgern im Allgemeinen teilt, als Waffe und Vorwand des Imperialismus dienen würde, um den Versuch der Spaltung und Zersplitterung der Arbeiter zu unternehmen, künstliche Gerwerkschaften zu schaffen und ihre Schlagkraft und ihren politischen und gesellschaftlichen Einfluß zu mindern. In den Vereinigten Staaten und vielen Ländern Europas und anderer Regionen bestehe die Strategie des Imperialismus darin, die Gewerkschaftsbewegung zu spalten, zu schwächen und zu korrumpieren, bis sie sich den Arbeitgebern völlig wehrlos gegenüber sieht. In Kuba wäre das Ziel hauptsächlich subversiver und destabilisierender Natur und darauf gerichtet, die politische Macht zu unterhöhlen, die außergewöhnliche Kraft und den außerordentlichen Einfluß unserer Arbeiter zu verringern und den heldenhaften Widerstand des einzigen sozialistischen Staates in der westlichen Hemisphäre gegenüber der hegemonischen Supermacht zu erodieren.

 

Das andere Gebot könne man auch nicht unterschreiben, da es die Türen öffenen würde für die Privatisierung der Bildung, die in der Vergangenheit zu schmerzhaften Differenzen und lästigen Privilegien und Ungerechtigkeiten geführt hätte, einschließlich der Rassendiskriminierung, die unsere Kinder niemals mehr erfahren werden. Ein Land, dem es in nur einem Jahr gelang, das Analphabetentum auszurotten, das eine durchschnittliche Schulbildung von neun Jahren erreichte, über ein außerordentliches und massenhaftes Kontingent von Dozenten und Lehrern und das gesündeste und erfolgreichste Bildungssystem der Welt verfügte, brauche keine Verpflichtung hinsichtlich eines solchen Gebotes eingehen.

 

Ich sagte Chrétien, daß Lateinamerika seit fast 200 Jahren versuche, das Analphabetentum zu beenden, und es habe es immer noch nicht geschafft.

 

Chrétien schlug vor, daß wir die Konvention unterzeichnen und die Einschränkung bezüglich der beiden Artikel machen. Wir antworteten ihm, daß man später von Nichteinhaltung der Konvention spräche und niemand von den Einschränkungen, mit denen sie unterzeichnet wurde, wisse oder sich an sie erinnere. Damit könne man nicht spielen!

 

Bezüglich des Vertrages über die Minen sprachen wir nicht viel bei diesem Treffen. Ich informierte ihn im Voraus darüber, daß wir ihn nicht unterzeichnen würden. Daß wir sogar einen Militärstützpunkt der Vereinigten Saaten auf unserem eigenen Territorium hätten. Daß die Minen einzig zwischen der Grenze des Stützpunktes und dem Rest unseres Staatsgebiets installiert seien. Daß die Minen für uns eine defensive Waffe darstellten und wir nicht den Fehler begehen würden, auf sie zu verzichten; daß wir keine Atomwaffen und keine intelligenten Bomben oder Raketen besäßen, genauso wenig wie andere moderne Kriegsmittel, welche die USA besitzen. Daß über unserem Land eine reale Bedrohung schwebe und wir aus diesem Grund nicht daran dächten, den Vertrag zu unterzeichnen.

 

Später kam er erneut auf das Thema aus einer Perspektive zurück, die ich zu diesem Zeitpunkt nicht hätte erahnen können. Bei Beendigung dieses ersten Treffens versicherte er mir mit offensichtlicher Zufriedenheit und Aufrichtigkeit, daß es eine exzellente Diskussion gewesen sei. Die Zusammenfassung der wichtigsten Aspekte der bei unserem ersten Gespräch behandelten Themen kann den Eindruck verleiten, es sei schroff gewesen. Nichts ist weiter von der Wirklichkeit erntfernt. Zu jedem Zeitpunkt dominierte eine herzliche und freundliche Atmosphäre.

 

Mir schien es deutlich wahrzunehmen – wenn er es auch nicht sagte, doch ich entnahm es sehr wohl der Gesamtheit dessen, was Herr Chrétien sagte -, daß er angesichts der Gegenwart eines so mächtigen Nachbarn, mit dem er eine 8 644 km lange Grenze teilt, Furcht wegen der Zukunft seines Landes verspührte. Im Bewußtsein der zwei starken Kulturen und tief verwurzelten unterschiedlichen Traditionen beunruhigt ihn das Risiko für die Einheit seines Staates durch jegliche Ambition, einen Fehler oder eine einfache Erschütterung des Nachbarn, die das Land auflösen könnten. Für dieses enorme und reiche Territorium, bewohnt von nur 32 Millionen Menschen, wo sich nebem anderen Ressourcen - wie mir Chrétien selbst sagte – ein Viertel der weltweiten Trinkwasserreserven befindet, stellen die Vereinigten Staaten  – vielleicht noch mehr als für Kuba -, einen starken Kopfschmerz dar.

 

Zu dem vielleicht interessantesten Moment des Gesprächs, bei dem Chrétien seine intelligenteste Idee vorstellte, die fähig war, selbst bei einem seiner Ideologie ziemlich weit entfernten Gesprächspartner ein Gefühl der Solidarität hervorzurufen, kam es, als er erzählte, daß er sich der Idee eines einzig mit den USA geschlossenen Freihandelsabkommens widersetzt hatte. Man mußte wenigstens einen Dritten finden, und es tauchte Mexiko auf, mit dem er bei vielen Gelegenheiten Positionen im Gegensatz zu den Manövern der Vereinigten Staaten teilte. Im Jahr 2005 seien es 34 Länder, und hoffentlich 35 (eine offensichtliche Anspielung auf Kuba), um die Balance mit den USA zu finden.

 

Bei einer Gelegenheit sagte er mir, daß Kanada ein sehr über seine Unabhängigkeit in Bezug auf die USA wachendes Land sei, daß es von großer Wichtigkeit sei, die Unabhängigkeit von den Vereinigten Staaten zu bewahren, und daß seine Politik darin bestünde, enge und freundschaftliche, aber sehr unabhängige Beziehungen zu jenem Land beizubehalten. Er bekräftigte mir gegenüber stolz, daß Kanada bereits mit dem Silicon Valley in Kalifornien wetteifere, wo die ganze Hochtechnologie produziert wird.

 

Das zweite Treffen mit Chrétien und seiner Delegation findet am Abend statt. Es gab ein Abendessen und einen noch weitergehenden Meinungsaustausch. Als bei einer bestimmten Gelegenheit der von der berühmt-berüchtigten Stiftung organisierte Attentatsplan gegen mich auf der Isla de Margarita angesprochen wurde, sagte er mir, daß dies oftmals der Grund für große Schwierigkeiten sei, denn der Zwischenfall mit den Flugzeugen hätte der US-Regierung dieses Problem gebracht, die bereit gewesen sei, einen positiven Schritt im Hinblick auf Kuba zu unternehmen. Ich erzählte ihm vom Cuban Adjustment Act und seinen absurden und irrationalen Folgen.

 

Wir sprachen auch vom Helms-Burton-Gesetz. Er sagte mir, daß sich die USA bezüglich dieses Gesetzes in der Isolation befänden. Er persönlich sei der erste gewesen, der eine Erklärung abgegeben habe, als es verabschiedet wurde. Bei einem Treffen mit den Premierministern der Karibik gaben sie gemeinsam die erste Erklärung gegen das Helms-Burton-Gesetz ab.

 

Im Zusammenhang mit dem Zwischenfall der Flugzeuge im Jahr 1996, der als Vorwand zur Verabschiedung des Helms-Burton-Gesetzes genommen wurde, sagte ich ihm, daß die nahezu komplette Geschichte des Zwischenfalls in der Zeitung The New Yorker vom 26. Januar 1998 nachzulesen sei.

 

Als er mich über die Freihandelszone auf dem amerikanischen Kontinent (ALCA) befragte, sagte ich ihm, daß man Geduld haben und wissen müsse, was in Lateinamerika mit diesem Freihandelsabkommen geschehen würde, welche die Folgen nicht nur für unsere Länder seien, sondern auch für den Rest der Welt, sowie die Kniffe, um eine multilaterale Investionsvereinbarung aufzuzwingen. Diese Fragen besorgten uns sehr. Es sei notwendig, diese Fragen tiefgreifend zu untersuchen. Ich erzählte ihm von konkreten Aspekten unserer Wirtschaft, von ergriffenen Maßnahmen, um der Spezialperiode zu begegnen; der Unmöglichkeit des Verzichtes auf Zölle für viele Länder Lateinamerikas und der Karibik, von denen einige auf diesem Weg bis zu 80 % der Haushaltseinnahmen erzielten. Auf meine Frage, ob die Integration Europas und das Auftauchen des Euros sein Land in irgendeiner Weise schädige, antwortete er mir mit Nein, da 82 % des kanadischen Handels mit den USA abgewickelt würde. Unser Handel mit den Vereinigten Staaten hat einen täglichen Umfang von 1 Milliarde Dollar, sagte er uns.

 

Ich teilte ihm meinerseits mit Offenheit meine Meinung mit, daß es für die Länder Lateinamerikas von Nutzen sei, wenn die europäische Integration Erfolg hat und Europa mit den USA in einen Wettbewerb tritt um die Märkte und Investitionen in Lateinamerika. Es sei besser, wenn es zwei, drei, vier starke Wirtschaftsmächte gebe, damit die Weltwirtschaft nicht allein von einem mächtigen Land und einer einzigen Währung anhänge.

 

Wir sprachen sogar über die kanadische Technologie im Bereich der Atomenergie und die zukünftigen Möglichkeiten für unser Land, kanadische Reaktoren zu erwerben, wenn dies auch zu diesem Zeitpunkt für uns nicht die beste oder wirtschaftlichste Option für ein schnelles Wachstum bei der mit gewisser Dringlichkeit benötigten Stromerzeugung sei.

 

Ich erzählte ihm auch von den Mexikanern, die an der Grenze zu den Vereinigten Staaten starben, wo pro Jahr bereits sehr viel mehr Menschen ums Leben kämen als in den 30 Jahren des Bestehens der Berliner Mauer.

 

Nur wenige wichtige Themen wurden bei unserem Meinungsaustausch nicht behandelt.

 

In der angemessenen Atmosphäre, die entstanden war, und in Anbetracht der Teilnahme Kanadas an den sich bereits normalisierenden politischen Geschehnissen in Haiti und der kanadischen Präsenz in jenem Land sagte ich ihm, daß Haiti ein naher Nachbar und eines der ärmsten Länder der Welt sei, mit schrecklichen Kennziffern im Bereich des Gesundheitswesens, einschließlich AIDS, was zur Gefahr einer menschlichen Katastrophe geführt habe, und ich fragte ihn, warum wir kein Vorbild an Zusammenarbeit abgeben und ein Gesundheitsprogramm für Haiti ausarbeiten sollten. Kuba würde medizinisches Personal entsenden und Kanada die erforderlichen Medikamente und Geräte liefern.

 

Er fragte mich, ob ich dies mit dem Präsidenten Haitis besprochen hätte, worauf ich antwortete, daß ich das Angebot nicht unterbreiten könne, ohne es vorher mit der kanadischen Regierung zu koordinieren, wobei ich meiner Überzeugung Ausdruck verlieh, daß sie es akzeptieren würden.

 

Er sprach von seinem besonderen Interesse für ein französischsprachiges Land, denn ein bedeutender Teil der kanadischen Bevölkerung spricht diese Sprache, und aus diesem Grund habe er Interesse an Programmen für Haiti. Er würde den Vorschlag analysieren. Ich teilte ihm mit, daß ich mit der Regierung Haitis sprechen würde.

 

Scheinbar kam ihm nach dieser Idee sofort eine andere. Er sagte mir unmittelbar darauf, daß er einen Vorschlag über ein gemeinsames Programm zu unterbreiten habe: ein gemeinsames Programm mit Angola und Mozambik zur Beseitigung der Anti-Personen-Minen. Ihr könnt die Arbeiter stellen, wir das Geld, fügte er hinzu. Diese Länder hätten bereits den Vertrag unterzeichnet. Man wies ihn von unserer Seite darauf hin, daß allein Militärs diese Arbeit verrichten könnten. Er antwortete, daß wir Kubaner die Experten hätten und sie, die Kanadier, würden das Geld für das Programm bereitstellen, denn das Budget dafür wäre bereits verabschiedet.

 

Einige Länder hätten sich zur Bereitstellung von Mitteln für die Säuberung der Minenfelder verpflichtet, darunter Japan, Schweden, Norwegen, Dänemark und andere, und da wir über Experten verfügten, dachte er, daß wir Kubaner diese Arbeit verrichten könnten.

 

Es ist unzweifelhaft, daß er nicht bemerkte, wie verletzend das sein konnte, was er vorschlug. Es handelte sich um eine humanitäre Zusammenarbeit, bei der Kanada und andere reiche Länder das Geld  und wir die Risiken von Verstümmelung und Tod unserer Soldaten beisteuerten. Vielleicht hat er niemals darüber nachgedacht, oder er war sich nicht dessen bewußt, was er vorschlug, doch ich hatte den starken Eindruck, als ob sie uns als Söldner anmieten wollten.

 

Für einige Sekunden spürte ich ein Gefühl der Kränkung, wobei ich mich an den selbstlosen Opfergeist und die saubere und noble Geschichte eines Volkes erinnerte, das sich einem intensiven Wirtschaftskrieg und der Spezialperiode entgegenstellte und dabei bereit war, für seine Ideen zu sterben. Hätte jemand die Absicht, diese Situation auszunutzen, um uns zu Einsätzen dieser Art zu verführen?

 

In Anbetracht der Eigenschaften meines Gesprächspartners und des feundschaftlichen, offenen, vertraulichen und sogar humorvollen Tons, mit dem sich unsere Gespräche meiner Erinnerung nach entwickelten, glaube ich immer noch, daß das, was er sagte und die Form, in der er es sagte, nicht dem Bewußtsein dessen entsprach, was man objektiverweise aus seinen Worten interpretieren konnte.

 

Ich erklärte ihm, daß es in Angola immer noch schwierig sei, die Minen zu beseitigen, denn dort seien die von den USA und Südafrika bewaffneten Banden, daß alle diese Minen von den USA und dem Apartheid-Südafrika an Sawimbi übergeben wurden. Dies könne Verstümmelungen und den Verlust von Menschenleben zur Folge haben. Wie könnte man vor unserem Volk eine kubanische Beteiligung rechtfertigen?

 

Mit der größten Unparteilichkeit schlug ich ihm das vor, was ich als eine vernünftige Lösung bezeichnete: wir wären bereit, das gesamte erforderliche Personal Angolas, Mozambiks und aus jeglichem anderen von Problemen dieser Art betroffenen Land auszubilden, damit sie diese Aufgabe in ihren eigenen Ländern durchführen.

 

Dieses Thema nahm fast den ganzen letzten Teil des zweiten Gesprächs in Anspruch, obgleich dieses noch einige Minuten im gleichen freundschaftlichen und herzlichen Ton weiterging.

 

Der unangenehme Punkt war von unserer Seite in gelassener und vernünftiger Form angesprochen und von der kanadischen Delagation zur Kenntnis genommen und scheinbar verstanden und akzeptiert worden.

 

Die Grundlagen der zwei wichtigen Kooperationsprogramme mit dritten Ländern waren im Prinzip vereinbart worden und man würde in der Folgezeit weiter daran arbeiten.

 

Ich beobachtete den Charakter und die Persönlichkeit des kanadischen Premierministers genau. Er ist ein Mann mit angenehmer Gesprächsart und gutem Humor, mit dem man einen interessanten Austausch über verschiedene Themen beginnen kann. Er sorgt sich um bestimmte Probleme der heutigen Welt und begeistert sich für Projekte seiner Präferenz, er kennt viele politische Persönlichkeiten, weiß seine Erfahrung zu nutzen und genießt es, in der Regel interessante und angebrachte Anekdoten zu erzählen. Er erschien mir als aufrichtig patriotisch. Es ist sehr treu gegenüber seinem Land und ist stolz auf Kanada. Er glaubt fanatisch an die kapitalistische Produktionsweise, als ob sie eine monotheistische Religion sei, und an die naive Idee, daß dies für alle Länder, aller Kontinente, aller Epochen, aller Klimazonen und aller Weltregionen auf gleiche Weise die Lösung sei. Mit dieser Philosophie ist er aufgewachsen. Ich bin nicht sicher, ob er damit die Realitäten der heutigen Welt genau verstehen kann.

 

Ich kannte Trudeau, ein außergewöhnlicher Staatsmann, von großer Bescheidenheit und Einfachheit, mit tiefgehenden Gedanken und ein Mann des Friedens; ich bin sicher, daß er die Welt und auch Kuba gut verstand.

 

Danach gab es andere Aktivitäten. Ich nahm an einem Empfang Chrétiens im Garten der kanadischen Botschaft teil. Er war fröhlich, gesprächig und guter Laune. Bald würde er sich mit Clinton treffen. Ich begleitete ihn bis zum Flughafen. Bereits in der Nähe von Boyeros bat ich ihn, Clinton einen Gruß zu übermitteln und ihm zu sagen, daß von unserer Seite keine feindlichen Gefühle gegenüber ihm existierten. Die Worte waren wohl abgewägt. Es war mehr eine Höflichkeit gegenüber dem Besucher als etwas Anderes. Ich bezahlte diese Höflichkeit teuer. Einige Zeit danach erhielt ich von Chrétien einen eigenhändig geschriebenen Brief, in dem er mir erzählt, daß er Clinton meine Wünsche für bessere Beziehungen zu ihm übermittelt habe. Das war nicht genau das, was ich ihm sagte. Das ist nicht mein Stil; es ist nicht mit meiner Haltung während meines ganzen Lebens vereinbar. Es könnte wie eine lächerliche Bitte an den mächtigen US-Präsidenten erscheinen. Ich schrieb Chrétien – ebenfalls per Hand – einen Brief, in dem ich ihm erläuterte, daß diese Botschaft nicht meine Botschaft gewesen sei. Die Angelegenheit wurde lästig. Es war nicht leicht, den Unmut mit den erforderlichen genauen Termini bei der Abfassung des Briefes zu vereinen, und in gewisser Weise wurde die Klarstellung ihrerseits zu einer Art Kritik an unserem Freund. Fast konnte ich es schaffen, doch schließlich gab ich die Idee auf und hob die Vorlage des geplanten Briefes sogar auf. Vielleicht ist es möglich, sie in irgend einem alten Notizblock zu finden. Danach vergaß ich die Angelegenheit. Nicht einmal seine delikate Geste, mir eigenhändig zu schreiben, konnte erwidert werden. Möglicherweise glaubte er, ich sei ein unverbesserlicher Rüpel.

 

Es vergingen die Monate und es gab keinerlei Nachricht von dem Haiti-Projekt, das für unsere Seite nur auf eine kurze Antwort wartete. Es kam der Hurrikan Georges, der Santo Domingo verwüstete und das benachbarte Haiti hart traf, das nur von den grenznahen 3 000 Meter hohen dominikanischen Bergen geschützt ist, die als Windbrecher fungierten. Danach zog der Wirbelsturm weiter nach Kuba.

 

Als noch immer die letzten Windböen von Georges im Norden des Westteils des Landes bliesen, in der regnerischen Nacht des 28. September, sagte ich während einer Ansprache bei der Abschlußveranstaltung des 5. Kongresses der Komitees zur Verteidigung der Revolution:

 

„ Ich frage die internationale Gemeinschaft: Wollen Sie diesem Land helfen, das vor nicht langer Zeit einer militärischen Invasion ausgesetzt und besetzt war? Wollen Sie Leben retten? Wollen Sie einen Beweis für den humanitären Geist ablegen? Wir sprechen jetzt von humanitärem Geist und von den Rechten des Menschen.

 

[...] Wir wissen, wie man pro Jahr 25 000 Menschenleben in Haiti retten kann. Man weiß, daß jedes Jahr von 1 000 Lebendgeborenen 135 Kinder bis 5 Jahren sterben.

 

[...]

 

Ausgehend von der Prämisse, daß die Regierung und das Volk Haitis mit Vergnügen eine wichtige und vitale Hilfe in diesem Bereich akzeptieren, schlagen wir vor, daß in dem Fall, wenn ein Land wie Kanada, das enge Beziehungen zu Haiti unterhält, oder ein Land wie Frankreich, das enge historische und kulturelle Beziehungen zu Haiti hat, oder die Länder der Europäischen Union, die eine Integration vornehmen und bereits den Euro haben, oder Japan die Medikamente zur Verfügung stellt, wir bereit sind, die Ärzte für dieses Programm zu schicken, alle Ärzte, die benötigt werden, wenn man auch einen kompletten Absolventenjahrgang oder etwas Entsprechendes schicken muß.

 

Haiti benötigt keine Soldaten, es benötigt keine Invasionen von Soldaten; Haiti benötigt Invasionen von Ärzten, um zu beginnen. Was Haiti außerdem benötigt, sind Invasionen von Millionen von Dollar für seine Entwicklung.“

 

November 1998. Es sind sieben Monate vergangen und es gibt keine Nachricht von Chrétien hinsichtlich der behandelten Themen. Der kanadische Gesundheitsminister Alan Rock besucht Kuba. Ich treffe mich mit ihm. Er hatte kurz zuvor in Kanada die südafrikanische Gesundheitsministerin Dr. Nkosazana Dlamini-Zuma empfangen und kam außerordentlich beeindruckt durch das, was sie ihm über die Arbeit der kubanischen Ärzte in den Weilern Südafrikas erzählte

 

Ich erkläre ihm detailliert das gemeinsame Kooperationsprogramm, das wir vorschlugen. Ich nahm in ihm einen sensiblen und fähigen Mann wahr, der die Möglichkeiten und Bedeutung solcher Programme begriff. Ich bat ihn, die Betreibungen im Zusammenhang mit dem Kooperationsprogramm in Haiti zu beschleunigen, und um eine Antwort Kanadas auf das, was ich seinem Land vorgeschlagen hatte, und zwar nicht nur persönlich seinem Premierminister, sondern auch öffentlich. Er verpflichtete sich, dem Premierminister und dem Kabinett ein Vorhaben vorzulegen.

 

Am 4. Dezember schickt Kuba auf eigene Rechnung eine erste Notfall-Brigade zur Betreuung der Opfer des Hurrikans Georges. In den folgenden Wochen kamen weitere medizinische Brigaden in Haiti an, bis man die Zahl 12 erreichte, mit einer Gesamtzahl von 388 kubanischen Helfern, und immer noch hatten unsere kanadischen Freunde kein Lebenszeichen gegeben. Das medizinische Programm, das wir als Gemeinschaftsprojekt mit Kanada vorgeschlagen hatten, wurde durch die Anstrengung Kubas, der Regierung Haitis und die Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen in Gang gesetzt.

 

Ende Februar gibt das kubanische Außenministerium bekannt, auf inoffiziellem Weg erfahren zu haben, daß die Regierung Kanadas 300 000 Dollar für das medizinische Programm in Haiti spenden würde. Diese Nachricht stellte uns logischerweise sehr zufrieden

 

Am 4. März waren mehr als zehn Monate ohne offizielle Antwort Kanadas vergangen. An diesem Tag erreichte uns trotzdem eine wahrhaft überraschende Nachricht. Der kanadische Außenminister, Herr Lloyd Axworthy, schickte dem kubanischen Außenminister Roberto Robaina einen Brief, in dem unter anderem mitgeteilt wird:

 

„ [...] ich wurde informiert über ein kürzlich von der kubanischen Nationalversammlung am 16. Februar 1999 verabschiedetes Gesetz mit dem Titel «Gesetz zum Schutz der Nationalen Unabhängigkeit und der Wirtschaft Kubas», das darauf zielt, dem Anstieg der Kriminalität und der subversiven Aktivitäten zu begegnen.

 

[...]

 

Ich habe meine Beamten gebeten, eine Analyse der kürzlich von Kuba ergriffenen Maßnahmen vorzubereiten, einschließlich der kommenden Verurteilung der Mitglieder der Arbeitsgruppe der Internen Dissidenten, mit Blick auf die Bestimmung von dessen Auswirkung auf eine Reihe von Aktivitäten, die wir im Einklang mit der bilateralen gemeinsamen Erklärung unternommen haben. Bis zum Abschluß dieser Bewertung habe ich meine Beamten gebeten, von neuen gemeinsamen Initiativen Abstand zu nehmen. Ich werde meinen Kabinettskollegen schreiben, damit sie sich über die Situation informieren, um in ihren eigenen bilateralen Kooperationsprogrammen mit Kuba Überlegungen anzustellen. Mit sofortiger Wirkung habe ich die gemeinsame Analyse von Seiten meines Ministeriums, der CIDA (Canadian International Development Agency) und von Health Canada bezüglich der Bitte Kubas zur Ingangsetzung der medizinischen Zusammenarbeit mit einem Drittland in Haiti gestoppt.

 

[...]

 

Die kommenden Tage werden für die Analyse wichtig sein, ob Kuba die Annäherungs- und Integrationspolitik gegenüber der internationalen Staatengemeinschaft wählt oder sich weiter in der unsicheren Richtung der vergangenen Tage bewegt. Ich hoffe, Sie sind fähig, ein Signal auszusenden, das zur Klärung der kubanischen Absichten beiträgt. Im Besonderen wäre ein solches Signal von großer Nützlichkeit, um sicherzustellen, daß die kürzlichen Ereignisse nicht zu einer unbegründeten Besorgnis in der Menschenrechtskommission in Genf werden.“

 

Zufall? Ein Vorwand zur Rechtfertigung von starkem Druck ihrer südlichen Nachbarn? Totale Gefühllosigkeit angesichts der haitianischen Tragödie? Ich möchte hier keinerlei Behauptung aufstellen. Doch wie erklärt sich, daß zehn Monate vergingen und während dieser Zeit – als die angeführten Geschehnisse, die zu einer solch drastischen Entscheidung und einem so ungewöhnlichen Brief führten, noch gar nicht stattgefunden hatten -, keinerlei offizielle Antwort gegeben wurde?

 

Auch wenn ich niemanden beleidigen möchte, nicht einmal den illustren Autor des Briefes, ist es unmöglich, nicht auf den arroganten, anmaßenden, einmischenden und rachsüchtigen Ton hinzuweisen, mit dem dieser Brief abgefaßt wurde.

 

Was mich persönlich am meisten verbitterte, waren nicht die Bestrafungsmaßnahmen und Drohungen gegen Kuba – an diese Strafen sind wir bereits seit 42 Jahren gewöhnt -, sondern die Tatsache, daß die 300 000 Dollar, von denen ich nicht einmal weiß, ob es US-amerikanische oder kanadische Dollar waren – 0,64 US-Cent zum Kurs vom 24. April 2001, da ich keine Zeit gehabt habe, nachzuprüfen, wieviel dies am 15. April jenes Jahres ausmachte -, niemals die haitianischen Kranken erreichen würden. Ich konnte nicht einsehen, daß man uns bestraft auf Kosten des Lebens von vielleicht Tausenden von haitianischen Kindern, die man hätte retten können, da in diesem Land zu jenem Zeitpunkt nicht weniger als 25 000 Kinder pro Jahr starben. Den Großteil dieser Todesfälle könnte man mit einfachen Impfungen verhindern, die mit jenen Dollars erworben werden könnten, seien sie US-Dollar oder Kanadische Dollar. Zweifellos beging jemand einen schweren Fehler.

 

Als etwas elementar Logisches hatte ich die inoffizielle Information geglaubt, die mir vom Außenministerium mitgeteilt wurde. Man kann zu diesem Zeitpunkt nicht einmal mehr behaupten, ob sie zutreffend war oder nicht.

 

Es gibt nichts mehr zu bedauern. In Haiti arbeiten heute 469 kubanische Ärzte und Gesundheitshelfer. In zweieinhalb Jahren, bis April, haben dort 861 Helfer gearbeitet, ohne vom haitianischen Volk für ihren Dienst einen einzigen Cent zu verlangen. Sie betreuen 5 072 000 der 7 803 230 Einwohner Haitis; 62 % der haitianischen Bevölkerung. Sie haben viele Tausende Leben gerettet und den Schmerz Hunderttausender Menschen gestillt oder deren Gesundheit wiederhergestellt.

 

In diesem Jahr begann mit der Übergabe aller Impfstoffe von Seiten Japans, mit Beteiligung von UNICEF, die erste Phase der massenhaften Impfkampagne gegen acht immunvermeidbare Krankheiten, wobei Kuba die Durchführung des Programms mit dem sich im Land befindlichen medizinischen Personal übernimmt, dessen Zahl sich im laufenden Jahr auf 600 beläuft. Wir wissen zudem, daß in der Zukunft mit der kombinierten Anstrengung Frankreichs, Japans, Kubas und Haitis eine neue Impfkampagne vorbereitet wird, die diesem äußerst armen und zur Dritten Welt gehörigen Land in fünf Jahren das Erreichen eines Immunisierungsniveaus von 95 % ermöglicht.

 

Ich denke, daß mit dem Sieg Südafrikas und Brasiliens gegen die unerschwinglichen Preise der AIDS-Medikamente der Tag nicht weit ist, an dem die Haitianer mittels der Unterstützung von kooperationswilligen Regierungen mit finanziellen Mitteln, der Institutionen der Vereinten Nationen und NGO´s auch gegen diese schreckliche Geißel geschützt sein werden.

 

Haiti ist nicht das einzige Land, mit dem Kuba bei Gesundheitsprogrammen unter dem selben Prinzip zusammenarbeitet. Es sind bereits 15. Bei diesen Programmen gibt es die Zusammenarbeit von 61 NGO´s mit der Beteiligung von mehr als 2 272 kubanischen Gesundheitsarbeitern, darunter 1 775 Ärzten.

 

Niemand kann mehr die Zusammenarbeit Kubas mit anderen Ländern der Dritten Welt sabotieren. Taten und nicht Worte. Schnelles Handeln und nicht Warten auf den Nimmermehrstag, wenn es Menschen aus armen Ländern gibt, die täglich und stündlich sterben. Unser kleines Land leistet gleichfalls eine besondere Unterstützung bei der Ausbildung von solidarischen und selbstlosen Ärzten mit Opfergeist. Das Voranschreiten ist möglich, das Besiegen von Verleumdungen und das Lindern der menschlichen Tragödie, die so viele Hundert Millionen Menschen trifft, sind keine unerreichbaren Ziele.

 

Heute bin ich für die Gespräche mit Chrétien dankbar. Sie dienten zum Beweis, daß die Initiativen möglich sind und ebenfalls die gemeinsamen Kooperationsprojekte mit zwei, drei oder vielen Ländern. Sie beweisen ebenfalls, daß die Stunden, die sowohl er als auch ich investierten, nicht unnütz waren, und ich folgte seinen Ratschlägen, indem ich mit noch größerem Eifer für die Menschenrechte und die Rettung von Menschenleben arbeitete, und für die Entschärfung von gigantischen Anti-Personen-Minen, die unsere Erde an den Rand von gewaltigen Explosionen bringen.

 

Kleine Beispiele für das, was jegliches kleine Land heutzutage anbieten kann, sind in der Gegenwart wichtiger als große Verträge, die die Mächtigen in tote Buchstaben und große Akte der Demagogie und Werbeposen zur Befriedigung von Eitelkeiten und persönlichen Ambitionen verwandeln.

 

Ich bin sicher, daß Trudeau niemals gesagt hätte, daß er vier Stunden damit verbracht habe, jemandem Ratschläge zu geben, der nicht darum gebeten habe, oder daß er Rechtfertigungen gesucht hätte, um ein würdiges Land, das ebenfalls niemals um seine Einbeziehung gebeten hat, von einem Gipfeltreffen auszuschließen, um eine Vereinbarung zu unterzeichnen, die er niemals unterzeichnet hätte.

 

Die Geschichte wird bestimmen, wer im Recht ist (Beifall)